Ausländer in Berlin

Eine Studie über Ausländerfeindlichkeit in Deutschland, wie es wohl jedes Jahr mehrere gibt. Wie schon so oft wird die besonders hohe Ausländerfeindlichkeit der Ostdeutschen hervorgehoben.

 Eine ruhige Berliner Straße im Jahre 2000.  Sie ist nicht sehr breit, wird flankiert von Lindenbäumen im frühlingshaften Pastell-Grün, gegenüber im zweiten Stock zieht eine türkische Familie ein.

Die Straße liegt im Osten der Stadt, in der ehemaligen Hauptstadt der DDR.

Bis dahin gab es in dieser Straße zwar auch Bewohner aus den verschiedensten Nationen: Ungarn und Argentinier,  Russen und Kongolesen, Kubaner und Vietnamesen, aber eben keine Türken. Kurdische Türken übrigens, die schon in der zweiten Generation in Berlin wohnen. Nie war jemand belästigt worden. Ausländerfeindlichkeit? Nein, man wohnte Tür an Tür und lud sich auch mal zum Essen ein.

Der Einzug wird irgendwie von allen Eingesessenen beobachtet. Es ist auch nicht zu übersehen. Der Einzug geht lautstark vor sich, das ist schon entgegen den sonstigen Gewohnheiten der Bewohner, die es eher ruhig lieben. Dann wird Bürgersteig und ein Teil der Straße über Gebühr lange durch ausrangierte Möbel blockiert. Auch das ist besonders, weil sonst jeder bemüht ist, den normalen Verkehr und das normale Verhalten der Bewohner möglichst wenig zu stören.

Dann, als sich um den Einzug herum alles wieder halbwegs beruhigt hat, sieht man zwei Frauen, die eine vermummt bis unter die Nasenspitze und die andere mit buntem, aber eng gebundenem Kopftuch, täglich, sofern das Wetter es zulässt, mehrere Stunden die Straße hinunter und wieder hinauf laufen. Jede von ihnen schiebt einen Kinderwagen. Begleitet werden sie oft von zwei Jungen im Vorschulalter.

Das wäre nicht unbedingt anstößig, weil auch mehrere Frauen, die schon länger in dieser Straße wohnen, Kinder haben, auch kleine, und es gibt auch welche, die ihre Arbeit verloren haben in den letzten Jahren und ebenso Zeit hätten, die Straße herauf und herunter zu laufen.

Anstößig ist nur, dass die beiden Frauen sich als Herrinnen der Straße fühlen, jedenfalls kommt es den vorbeihastenden Bewohnern so vor. Die beiden Frauen schieben gemächlich, weil sie ja Zeit haben,  nebeneinandergehend ihre Wägen  vor sich her. Sie bemühen sich erst gar nicht, auch an den engen Stellen nicht, Platz zu machen für Entgegenkommende oder Überholende. Sie blockieren mit ihren Wagen den Bürgersteig vor dem Gemüsehändler, sie stehen auch mal mitten auf der Straße und schwatzen.

Und auf dem Spielplatz kümmern sie sich nicht um ihre anderen Halbwüchsigen,  die durch den Sandkasten peitschen, sich mit Sand und auch Steinen bewerfen und dabei die spielenden Kleinkinder anderer Mütter beschmutzen und gefährden.

So etwas war den Bewohnern der Straße und auch den meisten der täglich durchlaufenden oder durchfahrenden Passanten unbekannt. Sie hatten gelernt, auf den anderen Rücksicht zu nehmen, den Nachbarn möglichst wenig zu belästigen und erwarteten die gleiche Auffassung auch vom Nachbarn. Die Türkinnen sind bald alleine mit ihrem Nachwuchs auf dem Spielplatz, wann immer sie dahin kommen.

 Ende September war es, da fuhr ein oben offenes Auto durch die Straße. Vier Männer saßen darin. Sie hatten dunkles Haar und ihre Haut war um einen Hauch dunkler als in Nordeuropa üblich und auch nach Haartracht und Bartwuchs, wie Kleidung und Gebaren war auf türkische oder mindestens südeuropäische Herkunft zu schließen. Die laute Musik, die aus dem Auto zu hören war, unterstützte den Eindruck.  Mehrere Bewohner der Straße, aber auch zufällige Passanten haben die Szene beobachtet.

Das Auto stoppte. Ein junger Mann stand aufrecht im Auto. Mit einer Pistole zielte er sorgfältig auf eine Schaufensterscheibe und schoss er am hellerlichten Tage darauf. Die Scheibe bekam ziemlich mittig ein Loch und strahlenförmige Risse gingen vom Loch aus. Beim zweiten Schuss zerriss die Scheibe vollständig und die Bruchstücke fielen aus dem Rahmen. Der Mann ließ sich wieder auf seinen Sitz fallen und das Auto wurde unaufgeregt wieder in Gang gesetzt und verschwand am Ende der Straße.

Ziel der Attacke war ein Video- und Musikverleih, der kurz zuvor dort eingezogen war. Der freundliche türkischstämmige Berliner kam aus dem Westen der Stadt. Die Bewohner besuchten den Laden schon lebhaft, jedenfalls bevor die Scheibe zu Bruch ging.

 Was, wenn einem Bewohner der Straße die Frage nach seiner Meinung zu Ausländern gestellt wird? Diesem jedenfalls wird, ob er will oder nicht, ob er Bild-Leser ist oder nicht, ob er auf Grund seiner Bildung und Erziehung, eine sonst eher liberale Auffassung vertritt, sofort die Invasion der Türken in seiner Straße einfallen. Die Antwort wird in jedem Falle als Ausländerfeindlichkeit gedeutet. 

Dabei ist es nicht ausländische Kultur, die aus dem Westen der Stadt auf diese friedliche Straße gekommen ist, sondern es ist westliche Kultur, oder besser: Unkultur, die auf den unvorbereiteten Ostgermanen kommt.

Dem nicht direkt mit der neuen Wirklichkeit Konfrontierten in einer Berliner Straße reicht ein Blick in die Bildzeitung für den Kulturschock oder auch die Berichterstattung auf den öffentlichen Fernsehkanälen oder ein Studium der Bücher eines gewissen Sarrazin für die Meinungsbildung.

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