versteht man zu feiern. Ich sah einen Mann, der hatte ein Loch im Ohr. Ein riesiges Loch. Wenn es ein kleines Loch gewesen wäre, ich hätte es kaum bemerkt. Wenn es ein junger Mann gewesen wäre, ich hätte mir keine Gedanken darum gemacht. Es mag ein Piercing gewesen sein. Es war aber ein alter Mann, ein Mann der die sechzig überschritten haben dürfte, mit großen, weit abstehenden Ohren.
Durch das Loch konnte ich die gegenüberliegende Wand sehen. Immer wenn der Kopf, an dem das Ohr hing sich bewegte, dann wechselte der Hintergrund von hell zu Dunkel und von Dunkel zu hell. Ich konnte den Wechsel durch das Ohr hindurch bemerken.
Es mochte eine Kugel das Ohr getroffen haben in einem der letzten Kriege. Es mochte ein früher Versuch eines Piercings gewesen sein, vielleicht mit der Heugabel oder die immer größer werdenden Ohren haben die aufgespannte Haut endlich zerrissen und es musste nur noch gerundet werden.
Ich kenne den Hintergrund nicht. Vielleicht muss ich nachforschen ob es eine Krankheit gibt, die so etwas verursacht, aber eher glaube ich, dass mir der Grund verborgen bleiben wird.
Dieser Mann war der letzte, der den Feierort verließ. Er hockte noch vor dem Haus und trank einen schwarzen Kaffee. Neben ihm stand die Gitarre auf dem Stuhl. Er hatte die Lieder angestimmt in dieser Nacht und hatte sie begleitet, hatte den vielstimmigen Chor unterstützt, so gut er konnte und solange er konnte. In Folge war er der letzte, der den Platz verlassen mußte, aber nicht mehr in der Lage dazu war. Er saß früh in seinem Stuhl, so wie er in der Nacht erschöpft darin eingeschlafen war.
Nun sah ich ihn, als ich, übermüdet, denn ich hatte bis nachts um zwei wach gelegen vom Gesang unter mir in der Gaststube, zum Frühstück nach unten kam.
Es waren diejenigen des Dorfes auf der anderen Seite des Berges, die am Abend gekommen waren, die die Fünfzig überschritten hatten. Nicht alle waren zu Fuß. Einige ließen sich schon vor Mitternacht von den Ihren wieder in ihre Wohnungen zurückholen, aber viele blieben und es wurden bald Lieder angestimmt und um Mitternacht wurde ein Neuer mit einem gemeinsamen Ständchen im Kreise der Fünfzigjährigen begrüßt. Die Lieder wurden lauter und harmonischer. Einige kannte ich, einige verstand ich nicht, weil in schwäbischer Mundart vorgetragen, aber alle habe ich, erst durch das geöffnete Fenster, dann durch die ungenügend isolierte Saaldecke gehört. Bis mich der Schlaf endlich holte.
Feiern können sie hier im Schwabenlande. Und sie singen gemeinsam. Das ist doch ein guter Anfang.
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