23.12.21

Dieser Tage las ich im Anzeiger der Stadt einen Artikel des Seniorenbeirates der Stadt. Ich hatte ihn nur überflogen, denn für gewöhnlich beinhalten diese Artikel herzlich wenig Information, die mich angehen könnte und der Lesespass hält sich auch in Grenzen.
Später im Bett erinnerte ich mich an den Artikel. Der Satz war mir beim Überfliegen schon aufgefallen, ich hatte den Kopf geschüttelt und wenig später, nach dem Querlesen des restlichen Blattes, die kleine Zeitung zum Ofen getragen, um ihr an einem der folgenden Tage den Feuertod zu ermöglichen.
Der Satz raubte mir tatsächlich den Schlaf, nachdem ich einmal angefangen hatte, darüber nachzudenken. „Wir Älteren haben mehr oder weniger am längsten zur Klimaveränderung beigetragen. Um einen kleinen Beitrag zur Klimaverbesserung zu leisten, schlagen wir vor: …“
So ungefähr schrieb das Mitglied des Seniorenrates der Stadt. Aha, wir Älteren, wir Senioren, haben schon am längsten auf dieser schönen Erde gelebt und schon am längsten dem Klima Schädliches getan. Und so haben wir die meiste Verantwortung für das Klima und seinen Wandel.
Der Mann entschuldigt sich dafür, dass er gelebt hat! Und schon so lange! Er entschuldigt sich für sich und für alle Senioren gleich mit! Auch für mich! Und er entschuldigt sich für eine Tat, die er unmöglich getan haben kann. Denn Klima richtet sich nach den Taten einzelner Senioren.
Wenn wir noch DDR hätten, dann hätte das einer dieser, manchmal auftauchenden und von einigen als typisch erachteten, Artikel einer Wandzeitung der APO (Abteilungsparteiorganisation der SED) oder einer nach höheren Weihen strebenden Brigade gewesen. Ein A…kriecher-Artikel. Ein Artikel von jemandem, der den Satz „Die Partei hat immer Recht!“ nicht nur verinnerlicht hatte, sondern diesen Satz in vorauseilendem Gehorsam, unter falscher Deutung der Ziele und Wege des Umweltschutzes an die Wandzeitung gehängt hätte.
Der Artikel würde natürlich weder von den Mitdenkenden entfernt werden, vielleicht sind sie achtlos vorüber gegangen, noch würde er vom Redakteur entfernt werden, weil der froh war überhaupt einen Artikel zu dem Thema an seinem Verantwortungsobjekt zu haben und auch die erklärten Kritiker der Propaganda der Partei ließen ihn hängen, da er ja ihre Meinung von der Dummheit der Parteimitläufer bestätigte.
Aber wir haben keine DDR mehr. Wir sind nicht mehr in sozialistischen Zeiten, in denen die Partei immer recht hatte und sich auch manchmal um die Umwelt Sorgen machen konnte, vor lauter Recht haben!
Wie kommt ein Senior, der vielleicht sogar in der sozialistischen DDR geboren wurde, dazu, sich fĂĽr sein Leben und auch fĂĽr mein Leben und das aller anderen im Seniorenalter stehenden Menschen der Stadt, zu entschuldigen?
Mal abgesehen von der Anmaßung, sollte er nicht sofort seinem Leben ein Ende setzen, wenn er meint, es wäre der Umwelt und somit der Lebensgrundlage aller Menschen nicht zuträglich? Sollten nicht alle möglichst bald ihrem Leben ein Ende setzen, denn sie schaden ja nach Auffassung dieses Herrn, massiv der Umwelt? Alle Probleme wären mit einem Schlag gelöst: Keine Abgase mehr, keine Abholzung mehr, keine Gewässerverschmutzung, keine Plastemikropartikel in Fischen und auch die Gletscher könnten bleiben, was sie waren: Eis.
Man hört es ja manchmal: „Alte Weiße Männer“. Weil sie regieren ist es auf der Welt so schlimm und wird noch schlimmer, wenn sie nicht endlich die Regierungsgewalt an die Jüngeren abgeben. Vielleicht an Greta.
Und dieses Seniorvertretungsmitglied fühlt sich wohl als „Alter Weißer Mann“ und hat seine Schuld verinnerlicht und möchte seine Mission als Sündenbock der Menschheit gerne gehorsam erfüllen. Das kann er in diesem Blatt der Stadt auch tun. Es wird ihm keiner widersprechen. Der Seniorenrat wird von der Stadtverordnetenversammlung eingesetzt. Diese Versammlung der Verordneten wiederum wird von den örtlichen Parteien zusammengestellt. Die größte
Fraktion der Versammlung hat also das Sagen, immer. Sie hat immer Recht.
Der Seniorenrat soll laut Satzung alle Senioren der Stadt vertreten. Um dazu die Berechtigung zu haben, müssten aber die Senioren der Stadt auch ein Mitspracherecht haben! Das wäre dann vielleicht demokratisch. Die Senioren haben aber kein Recht der Wahl oder der Mitsprache. Das ist nicht vorgesehen. Die Parteien wollen auch hier ihre Macht und Deutungshoheit behalten.
Und so wird die Auffassung einer Partei vertreten und viel schlimmer noch: Jemand, bei dem die Propaganda der herrschenden Parteien und Meinungen der Medien hervorragende Auswirkungen gezeigt hat, darf hier „seine“ Meinung zur öffentlichen Meinung machen.
Er redet damit allen Senioren eine Schuld ein. Er spricht die Senioren schuldig. Er spaltet in schuldige Senioren und die anderen. Er pflanzt die LĂĽge ĂĽber den unachtsamen Umgang der Lebenden mit ihrer Umwelt in die Köpfe. Er lenkt ab, von den eigentlich Schuldigen an den Abgasen, dem Lärm, der Konsumsucht, der Plasteflut, den tödlichen Pflanzenschutzmitteln, den genmanipulierten Lebensmitteln, den ĂĽbersĂĽĂźten Kindernahrungen, dem tödlichen Krankenhauskeimen, den abrutschenden Hängen, der verblödenden … – ich will niemanden beleidigen.
Eigentlich denke ich, die Senioren haben tatsächlich eine Verpflichtung. Sie sollten der Jugend genug Platz einräumen, endlich die Dinge zu bewegen. Aber sie, die Senioren sollten immer da sein, um den Jüngeren, den Agierenden, zu sagen, was sie in der Vergangenheit für Fehler gemacht haben.
Einer dieser Fehler ist es, die Meinungshoheit einigen wenigen zu überlassen. Die Wenigen haben Propaganda für ihre Ziele betrieben, sie haben gelogen und Halbwahrheiten erzählt und die Wahrheiten nur benutzt, wenn es ihren Zielen entsprach.
Sie tun das heute noch. Auch mit so einem scheinbar demokratischen Instrument, wie dem Seniorenbeirat.
Wenn die Propaganda der Lobbyisten gebrochen wird, dann kommt vielleicht ans Licht, dass es für die Umwelt und den Menschen günstiger (nicht in Bezug auf das Geld, sondern in Bezug auf die Lebensqualität des Menschen und den Erhalt der Natur) ist, wenn die Menschen nicht alle individuell mit dem PKW zur nächsten Stadt fahren, sondern die Bahn benutzen. (Wenn sie denn noch da und nicht abgebaut worden wäre, in weiser Voraussicht, dass dann mehr Autos verkauft werden können.)

Um das klar zu stellen: Ich denke, dass sich das Klima manchmal wandelt. Ich bin überzeugt, dass wir mit der uns gegebenen Umwelt schändlich umgehen. Ich denke, wir haben Verantwortung für alle die nach uns kommen und sollten uns bemühen den Planeten nicht unbewohnbar zu machen, sondern die Schönheit der Natur, die zu unserem Leben gehört, zu erhalten.
Aber Schuld haben wir Älteren nicht. Wenn wir Schuld haben, dann daran, die Mächtigen, die Propagandisten, nicht von ihren Thronen zu holen und die von ihnen gepachtete absolute und alleingültige Wahrheit wie verdient zu benennen! „Der hat ja gar nichts an….!“

Euer Julius Turm

Als Lektüre empfehle ich heute „Der Untertan“, H. Mann. Gerne mal lesen, hören oder ansehen, das beantwortet viele der aktuellen Fragen! – wenn auch nicht die, wie Propaganda auf die Menschen wirkt.

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