Arbeit und Leben und Krise

Immer wenn ich sie auf den Stufen sitzen sehe, dort vor dem Supermarkt, die Bierbüchse in der Hand, schwatzend mit dem Nachbarn, der ebenso den Schal dicht um den Hals gewickelt hat, immer dann denke ich so bei mir: Geht es mir wirklich gut? ,oder wäre ich nicht glücklicher, wenn ich dort sitzen könnte, Zeit habe und mit dem Nachbarn schwatzen könnte?

Ich könnte hingehen und fragen: Habt ihr nicht vielleicht Lust, ihr habt doch keine Arbeit, ich habe davon zuviel. Der Chef verlangt von mir 50 Stunden die Woche und ich schaffe trotzdem nicht alles, was ich schaffen müsste und es gibt unendlich Stress und eigentlich möchte ich das nicht, weil es längst den Spaß übersteigt, den ich bei der Arbeit haben möchte.

Was also, wenn ich mich einfach dazu setzen würde. Vorher müsste ich mir natürlich ein Sixpack holen, als Einstiegsrunde. Ich könne die Sonne genießen und schwatzen oder einfach nur zuhören und ab und an mal einen Satz beifügen.

Aber dann würde ich aufstehen von den Stufen und alles wäre wieder da, die Familie, die es zu ernähren gilt, das Haus, das abgezahlt werden muss und das Auto, mit dem ich täglich zur Arbeit fahre, das ist auch auf Pump gekauft. Aber das Auto bräuchte ich ja nicht mehr. Oder jedenfalls weniger, für die Fahrt zum Supermarkt, sind schließlich auch 12 Kilometer. Täglich zu laufen, oder zweimal die Woche, nein, das wäre mir doch nichts.

Das Haus möchte ich auch nicht aufgeben. Schließlich werkeln wir schon Jahre dran rum und gerade hat der Garten eine Form bekommen und die Äpfelbäume haben auch dieses Jahr das erste Mal getragen. Und die Frau und die Kinder, was würde die wohl sagen. Kein Gitarrenunterricht mehr. Die Kleine ist begabt und Spaß hat sie auch.

Also doch arbeiten. Oder wenigstens Geld verdienen. Anders geht’s nicht. Jedenfalls macht das auch nur Stress. Vielleicht weniger arbeiten.

Ich könnte ein wenig abgeben, von der Arbeit. Ich weiß, der Chef mag das nicht. Er müsste noch jemanden bezahlen. Und das, genau das will er nicht.

Dabei gibt es genug Autos, genug davon und von den vielen anderen Dingen gibt es auch mehr, als die Leute brauchen. Millionen von Autos stehen sinnlos in den Autohäusern rum. Fernseher drängeln sich in den Märkten und auch von dem Gemüse im Supermarkt geht die Hälfte in den Müll. Wenn die Staubsauger für eine Lebenszeit von 10 Jahren ausgelegt werden würden, statt eine Sollbruchstelle nach spätestens zwei Jahren zuschlagen zu lassen, dann brauchten fünfmal weniger Staubsauger hergestellt werden. Und ebenso würden weniger in den Schrott gehen. Da schlägt doch gleich das Grüne Herz um einiges höher. Das gesparte Geld könnte den Jungens da auf der Treppe zukommen. Vielleicht würden sie dafür auch arbeiten gehen. Vielleicht nicht gleich zehn Stunden am Tag. Aber muss ja auch nicht sein, wenn nicht mehr soviel hergestellt werden muss.

Einst stand die 35-Stunden-Woche in der Agenda der westdeutschen Gewerkschaften. Einige der Konzerne hatten sogar schon teilweise die 30-Stunden-Woche eingeführt. Im Osten wurde die Arbeitszeit auch schrittweise von der 48-Stunden-Woche auf eine Regelarbeitszeit von 35 Stunden gesenkt. Aus verschiedenen Gründen (nicht wegen der Faulheit des ostdeutschen Arbeiters) ging das nicht so schnell wie im Westen.

Von der 35-Stunden-Woche redet heute kaum noch jemand. Der ungebremste Kapitalismus hat wieder zugeschlagen. Die, die angestellt sind und die, die anderweitig einer bezahlten Tätigkeit nachgehen, nehmen heute längere Arbeitszeiten und Überstunden, sogar unbezahlt, in Kauf. Sie haben Angst den bezahlten Job zu verlieren. Es ist verständlich. Außerdem wird das Leben in den gewohnten Annehmlichkeiten ständig teurer. Wegen der kalten Progression in der Steuer und den Energiepreisen, zum Beispiel. Da wird es um so bitterer, den Bezahlten Arbeitsplatz zu verlieren.

Aber die persönliche Wohlfühlkrise ist längst da. Burn out. Wir werden ausgebrannt. Systematisch. Für nichts. Für Fernseher mit einer Auflösung, die unser Auge nicht mehr unterscheiden kann. Für das blitzblanke Bild, dass doch falsch ist.

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