Inzwischen ist es zum Event (deutsch: Veranstaltung, Höhepunkt) geworden. Nicht das Fest, das weihnachtliche, nein, die Vorbereitung. Zwar hallt es durch die InnenrĂ€ume: „Weihnachten wird unterm Baum entschieden!“, doch das ist lĂ€ngst nicht klar.

Der Weihnachtsbaum muss ran. Es regnet. Es schneit. Dann regnet es wieder. Keine Lust, aus dem Auto zu steigen und durch die nasse Wiese zu stapfen, mit klammen HÀnden die Zweige beiseite zu biegen, die SÀge anzusetzen und endlich das BÀumchen, nach dem Bezahlen selbstverstÀndlich, im Auto zu verstauen.

FrĂŒher, ich meine ganz frĂŒher, als alles noch besser war, da war es erst der Opa, dann der Vater, mit dem ich jedes Jahr los zog. Oft erst einen Tag vor Heiligabend.  Den Fuchsschwanz(SĂ€ge) in einem Sack auf dem Fahrrad an der Stange festgebunden ging es in den Wald. Schon im Herbst war die Stelle ausgespĂ€ht worden, die dieses Jahr den Baum liefern muss. In der Schonung angekommen wurde die Gegend gesichert. Der Förster durfte nicht in der NĂ€he sein. Die Sicherung dauert oft bis in die DĂ€mmerung. TatsĂ€chlich sind wir ihm nie begegnet. Schnell einen Baum gesucht, nicht zu groß, er musste ja auf dem Fahrrad transportiert werden, dann wurde gesĂ€gt. Schön sollte er natĂŒrlich sein, der Baum, aber das war reine GlĂŒckssache. Oft stellte sich erst in der Stube, unter strenger Begutachtung der Mutter heraus, dass wieder einmal eher ein Besenstiel zum Weihnachtsbaum taugte, als der unter grĂ¶ĂŸter Gefahr geborgene. In der DĂ€mmerung ging es quer durch den Wald und dann durch die Stadt nach Hause. Es gab noch nicht so viel Straßenbeleuchtung wie heute und so konnte allen Gefahren, dem Förster, den Nachbarn, einer eventuelle Polizeistreife erfolgreich aus dem Wege gegangen werden. In Schuppen wurde der Baum angespitzt und in einen StĂ€nder gestellt und eventuell wurden auch noch ein paar Zweige versetzt oder nachgerĂŒstet ehe der Baum den AnsprĂŒchen aller genĂŒgte. Opa und auch der Vater waren Meister in der NachrĂŒstung von WeihnachtsbĂ€umen. Aus einer hĂ€sslichen, nur auf einer Seite gut gewachsenen Fichte wurde ein gleichmĂ€ĂŸiger, weit ausladender Weihnachtsbaum. Am Weihnachtsabend wurde er in der Stube aufgestellt.

Einen Baum aus einer Schonung herauszuschneiden ist ĂŒbrigens nicht so schlimm. Die Schonung muss jedes Jahr um einige BĂ€ume gelichtet werden, damit die anderen besser wachsen können. Wir haben also eigentlich dem Förster geholfen.

In diesem Jahr sind wir nahe daran auf einen Baum ganz zu verzichten. Wegen des Regens verschoben wir die Weihnachtsbaumbesorgung auf den Sonnabend. Falsch, ganz falsch. Gleich nach Sonnenaufgang fuhren wir in Richtung Werder. Der Parkplatz voll, ĂŒbervoll. Völkerwanderung. An der Straße ist eine mobile FußgĂ€ngerampel aufgestellt worden. Weihnachtsmusik klingt ĂŒber das Feld und die Straße. Eigentlich ist hier draußen nie was los. Das nĂ€chste Dorf ist einige Kilometer entfernt.

Ehemals beschĂ€ftigte sich der Betrieb mit der Zucht und dem Verkauf von Obst. Seit einigen Jahren ist im Winter der Baumverkauf dazugekommen. Eine große FlĂ€che, auf dem der Apfelbaumbestand gerodet worden war, ist jetzt mit heranwachsenden NadelbĂ€umen bepflanzt. ZunĂ€chst ein Geheimtip, nur Einheimische verliefen sich in diese Gegend, jetzt aber Anlaufpunkt nicht nur fĂŒr Werderaner, nein auch fĂŒr Berliner, Potsdamer, selbst Nummernschilder aus Magdeburg und Hannover habe ich auf dem Parkplatz gesehen.

Ein Vater erklĂ€rt seinem Sohn die Handhabung der SĂ€ge. Ein Ă€lterer Herr erklĂ€rt allen, die es nicht wissen wollen, welche Baumtypen am lĂ€ngsten die warme Zimmerluft vertragen. Eine Familie hat dem dreijĂ€hrigen das Dreirad weggenommen, weil er sich immer in den Zweigen verhakelt. Drei junge MĂ€nner stehen am GlĂŒhweinstand und sie scheinen schon eine Weile da zu sein. Einen Baum haben sie noch nicht. Zwei Frauen streiten sich, wer als erster an einer schönen, gleichmĂ€ĂŸig gewachsenen Blaufichte war und somit das Recht erworben hat sie absĂ€gen zu lassen. Die MĂ€nner ziehen sich derweil ein wenig zurĂŒck und nehmen einen Schluck aus der Taschenflasche. Eine Bude ist aufgebaut. Weihnachtspyramiden werden verkauft. Daneben ein Inder mit Socken, GĂŒrtel und Handschuhen. Wir machen am Bratwurststand eine Pause.

Auf einer Tafel neben dem BaumeintĂŒter sind die Preise fĂŒr die BĂ€ume aufgeschrieben: Der Meter selbstgesĂ€gte Fichte kostet 20 Euronen. Ich ĂŒberlege wieviel Geld ich in der Tasche habe. Ich hatte nur einen Zwanziger eingesteckt. Wahrscheinlich hatte ich mich nur an den Weihnachsbaumkauf von vor einem Jahrzehnt zurĂŒckerinnern könne. Irgendwie habe ich jedenfalls die Ausgabe falsch eingeschĂ€tzt.  Ich drehe alle Taschen um. Es kommen noch mal 2 Euro vierundachzig zusammen. Die Frau gibt noch einen FĂŒnf-Euro-Schein, den sie in meiner Hemdtasche findet, dazu. Ich rechne. Das gibt einen Baum von exakt einem Meter, neununddreißig Zentimeter und zwei Millimeter. Hoffentlich finden wir so einen.

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