Biber langweilte sich. Der Autopilot war an und tat seine Arbeit. Sein Copilot war schon auf dem Taxi-Way eingenickt. Sie standen in der Wartezone mit laufenden Triebwerken, fast eine halbe Stunde lang. Pilot Hans Biber war ein alter Hase. Er selbst hielt durch. Obwohl er auch etwas Schlaf brauchen konnte.

Den Kollegen ließ er jedenfalls erst einmal einfach in Ruhe. Die paar Handgriffe und die Meldungen in der Startposition konnte er selbst tun. Er hatte irgendwie doch Mitleid mit dem Jungen. Und dabei stand dem noch alles bevor. Sie waren am Morgen aus Budapest gekommen, hatten zwei Stunden Pause und mussten dann zum nächsten Flug. Das ist verdammt wenig Zeit für einen Jungen, der eine ganze Nacht Schlaf nachzuholen hat. Die Abfolge der kurzen Flüge waren immer kürzer geworden. Als Hans Biber bei der Gesellschaft anheuerte, da waren sie noch vier Mann im Cockpit. Da wäre das gar nicht aufgefallen, wenn der Navigator schlief. Damals wäre der Junge erst einmal als Navigator mitgeflogen. Schöne alte Zeiten. Jetzt aber gab es keinen Navigator nicht mehr. Dafür den Kollegen Computer. Hans Biber überlegte einen Augenblick, ob der Bordingenieur auch durch den Computer ersetzt wurde. Er fand keine Antwort. Einen Bordingenieur jedenfalls war auch nicht mehr im Flugzeug. dann musste er wohl durch einen Computer ersetzt worden sein.

So ein Bordrechner ist immer fit. Der Junge hatte wohl mit seinen Freunden in Budapest eine Sause gemacht. Sie hatten neun Stunden Pause in Budapest. Er hätte es sein lassen können, aber er hat es getan. Hans Biber verstand das. Er war ja auch mal jung. Trotzdem ärgert er sich natürlich. aber er ließ den Jungen schlafen. Endlich kam die Startfreigabe. Er weckte den Jungen. Der war auch sofort wieder bei sich und alles klappte wie am Schnürchen. Schon nach wenigen Sekunden waren sie in den Wolken.

Allerdings war der Co-Pilot schon wieder eingeschlafen, bevor sie die Reiseflughöhe erreicht hatten. Biber wartete die Reiseflughöhe ab. Der Autopilot lief schon. Biber kontrollierte die Streckeneingabe und die übrigen Anzeigen auf dem Bildschirm. Zuweilen flackerte der linke Bildschirm etwas. Biber hatte das im Mängelbericht angegeben. Es sollte repariert werden, wenn die Maschine wieder auf dem Heimatflughafen Frankfurt sein würde. das war für die nächste Woche geplant. Biber hatte auch in der Wartungsluke in der hinteren Pantry einen Laptop entdeckt, der noch in der Wartungsschnittstelle steckte. Alles nur Kleinigkeiten. Sonst war alles in Ordnung.

Und Fliegen ist ja inzwischen Kinderleicht, dachte er mit einem weiteren Blick auf seinen jungen Copiloten. Hans Biber meldete sich aus dem Luftraum Barcelona ab. erst im Bereich Frankfurt musste er sich wieder bei der Flugsicherung anmelden.

Hans Biber warf noch einmal einen routinierten Blick über die Anzeigen. Alles im „Grünen Bereich“. Er war zufrieden. Er schnallte sich ab, musterte noch einmal seinen schlafenden Copiloten und verließ das Cockpit. die Tür fiel ins Schloss. Er hatte eine halbe Stunde zeit.

Er wollte sich von seiner Freundin verabschieden. Sie sollte es natürlich nicht wissen, es sollte nur ein letztes gemeinsames Zusammensein werden. Er würde sich in Düsseldorf das Leben nehmen, es war beschlossen. Die Abschiedsbriefe waren geschrieben, alles ist durchdacht. Er hatte lange überlegt, wie er es machen wollte, aber er würde einfach vom Dach springen. Ein letzter Flug sozusagen. Zwölf Stockwerke, das waren gut sechs Sekunden Flug. Eine ausreichende Zeit, es zu genießen. Er hatte die Police studiert. Die Gesellschaft zahlte bei Tod. Es war keine Klausel wegen Selbstmord enthalten.

Das Geld würde reichen seine Spielschulden zu bezahlen, den Sohn weiter auf diese unanständig teure Eliteschule zu schicken und dann auf die Uni und auch für die Frau würde es bis zum Lebensende reichen. Sie wird sich nicht mal einschränken brauchen. Aber die monatlichen Beiträge waren ja exorbitant. Da sollte es sich schon lohnen.

Hans Bieber musste warten. Die Flugbegleiter waren noch mit dem Verteilen von Kissen und Getränken beschäftigt. Aber Biber hatte sie schon anfassen können, als er an ihr vorbei in die hintere Bordküche ging. Sie würde kommen, sobald sie sich freimachen konnte. Die anderen Steward würden sich nach vorne verziehen. Sie kannten das.

Biber war langweilig. Er sah sich in der Küche um. Ein Fach war nicht richtig geschlossen. Es klapperte. Dann sah er auf die geschlossenen Wartungsluke. Ihm kam ein Gedanke. Ein spitzbübisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Er öffnete die Luke.  Dann stellte er das Bordwartungsterminal auf den Modus Wartung. Er gab auf der Konsole eine Spritmenge von 12000 Gallonen mehr an, als sie wirklich an Board nehmen konnten. Dabei hatten sie nur halb getankt in Barcelona. Das würde für den Weg nach Düsseldorf reichen und für ein oder zwei Warteschleifen, wenn es sein musste. Gewicht kostet Geld und das war ja nicht notwendig. da verstand er die Gesellschaft. Und die Umwelt schonte es auch, und die Anwohner, wenn das überschüssige Kerosin nicht auf die Felder und die Häuser abrieselte.

Die geänderte Spritmenge musste jetzt ein Lämpchen im Cockpit aufleuchten lassen. in wenigen Sekunden würd ein schriller Alarm in der Kabine und in den Kopfhörern seines Copiloten tönen. Dann würde der Bursche endlich aufwachen und seine Arbeit tun. Feiern hin oder her. Er hatte seine verdammte Arbeit zu tun.

Hans Biber wartete auf den Anruf seines Kollegen, der jetzt sicher in Aufregung sein musste. Der musste ihn jetzt ins Cockpit rufen. So die Vorschrift. Biber würde ihn beruhigen, die richtige Spritmenge wieder einstellen und nachher hätten sie ein wenig zu lachen über den Streich.

Der Anruf kam nicht. Biber ärgerte sich. Der musste einen verdammt tiefen Schlaf haben. Inzwischen musste doch das gesamten Instrumentenarsenal rot aufschreien.

Biber beschloss nach vorne zu gehen. Er stellte auf der Konsole die richtige Spritmenge wieder ein. Sicherheitshalber kontrollierte er noch einmal die vorhandene Spritmenge, bevor er die richtige wieder einstellte. Aber die Anzeige musste einen Fehler haben. Sie zeigte nur einen winzigen realen Rest an, der kaum für eine halbe Stunde Flug reichen würde. Aber vorne in der Kanzel war doch die richtige Menge angezeigt? Biber rief noch einmal die Daten der Sensoren ab. An deren Aussage  änderte sich nichts. Biber überlegte, ob er den Tankwagen auf dem Rollfeld gesehen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, denn er war im letzten Augenblick zum Flugzeug gekommen und sein übermüdeter Copilot hatte ihm gemeldet, das die Vorbereitungen abgeschlossen waren.

Die Instrumente in der Kanzel zeigten allerdings die erwarteten Werte, wäre es anders gewesen, dann wäre es Biber aufgefallen. Doch halt, er stutzte, soweit er sich erinnern konnte zeigten sie den VOLLEN Tankstand an, nicht die halbe Tankmenge, die sie ja hätten anzeigen müssen, und die Maschine war auch einige Sekunden früher abgehoben, als er es erwartet hatte. Er hatte es auf den Gegenwind geschoben und es vergessen. Biber machte die Luke zu und eilte nach vorne in Richtung Cockpit. Auf dem Wege streifte er seine Stewardess. Sie lächelten sich an.

Hauptmann Freeser sah den Strich auf dem Monitor. Das war sein Übungsziel. Eine Zivilmaschine. Sie ist jetzt knapp 5 Kilometer vor ihm und etwas seitlich unten. Es war die ideale Position, um nicht bemerkt zu werden. Er gab die 270 ein. Noch ein „C“ für „Korrektur“, Ein „A“ für „Altitude“  und ENTER und die Maschine würde jetzt ihren Kurs ändern. Die Piloten würden es nicht einmal bemerken. Die Maschine würde sich unmerklich in eine Linkskurve legen und ihren ferngesteuerten Kurs fliegen. Aber es tat sich nichts. Irgendwas hatte er vergessen. Er hatte seit einem Jahr nicht mehr an der Konsole gesessen. Er suchte das Handbuch. Dass ihm das passieren musste. Er fand kein Handbuch. Er versuchte sich zu erinnern. Ein Buchstabe fehlte für die Vervollständigung des Befehls.

Biber klopfte an die Tür. Nichts rührte sich. Er klopfte lauter. Er hätte jetzt den Code eingeben müssen, um die Tür zu öffnen. Aber der Zettel mit dem Code ist in seiner Jacke und die hängt in der Kabine.

Er blickt sich um die erste Stewardess zu suchen. Sie ist nicht zu sehen. Biber geht wieder nach hinten zur Küche. Seine Freundin fällt über ihn her, sobald er durch den Vorhang ist. Er kann sie abwehren. Sie ist beleidigt, weil er sie mit beiden Armen von sich hält.

Hauptmann Freeser winkte dem Operater-Unteroffizier, herüberzukommen. Da leuchtete aber über seiner Konsole das Rote Lämpchen. Er winkte ab. Die Operation musste unterbrochen werden. Über den Kopfhörer gab der Pilot den Grund der Unterbrechung durch. Die Sensoren für die Höhenmessung waren vereist. Er hatte die Computer ausschalten müssen und flog jetzt mit Handsteuerung. In solchen Situationen, so sagte es die Vorschrift, waren Fernsteuermissionen von Zivilmaschinen verboten. Wegen der Sicherheit.

Biber hatte inzwischen seiner Freundin erklärt, dass er den Türcode brauchte, um in die Kabine zu kommen. Die Freundin lachte ihn, immer noch beleidigt, aus, fing aber an nach dem Code zu suchen. Durch das Kabinenfenstern sah Biber draußen die Wolken aufreißen. Fetzen fliegen vorüber. Die Berge wurden erkennbar. Es ist ein trüber Tag über den Alpen. Da schoss die Erkenntnis wie ein Blitz durch seinen Kopf. Sie waren viel zu tief. Er ließ die Freundin stehen. Sie hatte den Code noch nicht gefunden. Er hastete nach vorne zur Cockpittür. Er hämmerte dagegen. Endlich rührte sich etwas hinter der Tür.

Hauptmann Freeser sah noch einmal auf seinen Monitor. Eben war ihm eingefallen, dass er bei Richtungsänderung ein „D“ für „Direktion“ hätte eingeben müssen, statt des „A“. „A“ stand für die Höhe. Aber die Operation war ja abgebrochen worden. Das Zeichen für das Radarecho der Zivilmaschine am oberen Rand seines Bildschirm verlosch gerade.

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