Das Vertrauen und die Macht

Lieber Freund,

ich schreibe, weil ich es nicht mehr aushalte. Auch Du kamst neulich und warst begeistert über die neuen Möglichkeiten des bargeldlosen Zahlens. Nur noch an der Kasse vorbeilaufen und … schon bist du dein Geld los. So unkompliziert.

Du hast Dich lustig gemacht über meine Skepsis gegenüber den Neuerungen im Zahlungsverkehr. Als wir dann ernsthaft darüber sprachen hast Du ins Feld geführt, dass es viele Vorteile bringt, dass es vor allem schnell und komfortabel ist und unkompliziert, papierlos, zeitgemäß (modern) …, und dann war Deine Beweisführung zu ende. Ach ja, für die Ladeninhaber ist es von Vorteil, sie müssen abends nicht mehr zur Bank, um die Einnahmen abzugeben.

Als ich versuchte mit meinen Gründen dagegen zu halten, kamst Du mit dem alles schlagenden Argument, dass ich diesen Fortschritt gar nicht aufhalten kann.

Ich sage Dir: Du hast recht. Ich kann den Fortschritt nicht aufhalten. Maschinenstürmerei bringt nichts. Nach meinen Informationen, deren Wahrheitsgehalt ich allerdings nicht prüfen kann, es ist nur vom Hörensagen, von einem der in China war oder vorgibt dort gewesen zu sein und der dort sogar schon am Imbisstand an der Straße bargeldlos bezahlen konnte und das der Normalzustand ist, jedenfalls behauptete er das, also nach meinen Informationen ist das eben in China, was hier gerade erst beginnt, schon Usus, das bargeldlose Bezahlen.

Ich habe eine wahnsinnige Angst davor. Wenn ich an das bargeldlose Zahlen denke und die zunehmende Abhängigkeit von der Elektronik, den Smartphones, den anderen Abhängigkeiten, die gerade aufgebaut werden, dann wird mir ernsthaft übel und ich überlege, wie ich dem entgehen kann. Die Leute lassen sich in Schweden, glaube ich, ja schon Chips unter die Haut implantieren, um dann sogar ganz ohne zusätzliche Mittel, nur mit „körpereigenen“ Merkmalen, als Zahlungsmittel zu gelten. Dieser Fortschritt liegt mir so auf der Seele, dass er mich krank macht.

Ich rede hier gar nicht von den Missbrauchsmöglichkeiten durch Kriminelle. Vom CCC (Computer Chaos Club) wird immer wieder vorgeführt, wie schnell ein Fingerabdruck gefälscht werden kann, oder sie haben auch gezeigt wie der Iris-Scan überlistet wird, ohne dem Inhaber das Auge rauszureißen, wie man es im Film sieht. Auch von der Sicherheit von Pins und TANs und den Übertragungswegen will ich gar nicht reden. Es gibt immer Kriminelle, die Möglichkeiten finden.

Ich will hier auch nicht davon reden, dass ältere Leute in Europa sich manchmal schwer tun mit neuer Technik und die Handhabung von Smartphones für ältere Menschen manchmal selbst bei gutem Willen gar nicht möglich ist. Sehvermögen, Schnelligkeit, Treffsicherheit (Tasten) und solche Dinge lassen einfach mit dem Alter nach und die alten Menschen können nichts dafür, so wie der Mensch im Allgemeinen nichts dafür kann, dass er älter wird. Und mal so nebenbei: Alte Menschen kommen an sich ganz ohne Computer aus. Sie haben eine oder mehrere Erdbeerpflanzen im Garten oder im Balkonkasten und dort wachsen die Früchte, real und nicht virtuell. Aber sie reichen eben nicht aus, sich zu ernähren, ab und an müssen sie in den Supermarkt.

Nein, reden will ich davon, wieviel Macht über sich selbst jeder Mensch anderen einräumt, wenn er den anderen gestattet Zahlungsvorgänge bargeldlos mit ihm abzuwickeln.

Oder andersherum gesagt: Wie machtlos und hilflos bist Du, mein Freund, wenn der Strom ausfällt oder das Internet nicht funktioniert?

Es gibt noch andere Szenarien, die Dich ganz schön dumm aussehen lassen: Du schreibst einen unliebsamen Artikel gegen Deine Bank und sie sperren Dir das Konto (damit auch Deine Kredite). Obwohl es natürlich keinen negativen Eintrag in die „Schufa“ gibt, ist doch dort die Kontokündigung vermerkt. Jede Bank und jeder Kreditgeber kann es dort sehen, dass es keinen Negativeintrag gibt. Deine Bankkarte und Deine Kreditkarte sind gesperrt. Du hast leider kein Bargeld, wahrscheinlich würdest Du auch niemanden finden, der es Dir abnehmen kann. Du kannst im Supermarkt kein Katzenfutter kaufen und der Bäcker an der Ecke verkauft die Brötchen auch bargeldlos.

Wenn in unserer Welt Recht und Gesetz gelten würden, da gebe ich Dir Recht, dann wäre das ein vorübergehender Zustand und ein oder zwei Wochen, bis die Ungerechtigkeit beseitigt ist, würdest Du schon durchhalten.   Aber es ist nicht nur Deine Bank, die so uneingeschränkte Macht über Dich erlangt, es ist jede Bank! Es ist der Staat, der angeblich das Bankgeheimnis garantiert und schützt, es ist Deine Firma, die sich, wie jeder Interessierte, nach Deinen Finanzen erkundigen kann.

Mit etwas Bargeld in der Hand ist man etwas unabhängiger. Auf dem Bargeld steht nicht schon Dein Name. Du bleibst anonym. Jedermann, der Dir etwas verkauft, kann auch anonym bleiben (denken wir nur mal an deine Putzfrau, die nur durch Schwarzarbeit über die Runden kommt). Natürlich kann auch hier der Staat zugreifen. Er macht mal eben eine Währungsunion oder hebt die Zinsen an. Aber es ist doch kein direkter Zugriff auf Dich persönlich und es ist für den Staat und die anderen Akteure auch schwieriger, mit einigen technischen Hürden verbunden.

Will ich den Komfort des bargeldlosen Zahlens? So wie in China? Ja, ich will es. Weil es bequem ist. Was ich nicht will, und nur davor habe ich diesen Horror, alle Macht über mein Leben aus der Hand geben und mich vollkommen der Bank oder dem Staat ausliefern, was letztendlich auf dasselbe hinauslauft.

Lieber Freund, ich musste das noch einmal loswerden. Es erschreckt mich ein wenig, wenn alle begeistert sind. Auch Menschen wie Du, denen ich mehr zutraue.

Wie wir uns ohne Abschaffung von Privatbank, Privatunternehmen wie die „Schufa“ oder wie wir ohne die Beseitigung der Unterordnung des Staates unter Privat- und Unternehmensinteressen vor dem Horror bewahren, kann ich auch nicht sagen.

Bleib Gesund!

Dein Hans Kleiner

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